Krankenschwester oder Ärztin?
Part IV
"Ach... ist schon okay.
Es tut mir leid,
wir kennen und ja auch gar nicht.
Aber Sie taten mir einfach leid,
haben so geweint und dann auch noch das...
Blut im Gesicht.
Das war ein trauriger Anblick."
sprach die Menschenfrau, während sie sich
irgendwie versuchte vom Boden aufzuraffen.
"Aber ich war so unfreundlich,
wollte nichtmal ein Taschentuch von Ihnen annehmen,
bin zur Bahn gerannt und habe Sie einfach stehen lassen.
Aber... Sie haben ja recht.
Wir kennen uns gar nicht."
Mittlerweile saßen die Menschenfrau und ich
auf einer Bank kurz vorm Bahnhof und ich
hatte ihr ein Taschentuch angeboten,
da auch sie sich die Nase aufgeschlagen hatte.
Es war schon kurz vor sechs und ziemlich kalt, aber wir saßen einfach so
auf dieser Bank und unterhielten uns.
Irgendwie war da ein Gefühl in mir, als würden wir uns schon ewig kennen.
Es war so vertraut und warm.
Ich wusste allerdings immer noch nicht,
ob sie nun Krankenschwester oder Ärztin war.
Aber vielleicht sollte oder musste ich das auch gar nicht wissen,
vielleicht war das ja völlig unwichtig.
Außerdem gab es hier in der Nähe gar kein Krankenhaus,
aber sie musste hier arbeiten, da ich sie jeden Donnerstag
(und auch schon vereinzelt an anderen Tagen) hier getroffen habe.
Es gibt hier weiter vorne eine Art Ärztehaus,
ein medizinisches Versorgungszentrum,
das war es allerdings auch schon.
Wer weiß, vielleicht war sie ja auch medizinische Fachangestellte.
Ich war manchmal schon in dem Ärztehaus, weil ich öfters
mit meinen Plattfüßen zu kämpfen hatte
oder mich für die Schule damals krankschreiben
lassen musste, weil ich es am Abend davor mal wieder mit
Alkohol übertrieben hatte.
Aber ansonsten... nichts.
Keine Menschenfrau, keine Frau Liebig,
ich hatte sie dort noch nie gesehen.
Und ich habe in dem Haus schon wirklich etliche Ärzte
aus vielen verschiedenen medizinischen Richtungen herumlaufen sehen,
ich saß dort bestimmt schon in jeder Etage einmal.
Orthopäden, HNO-Ärzte, Zahnärzte, Frauenärzte, Dermatologen,
Allgemeinmediziner... es war fast alles mit dabei.
Zahnärztin? Nein, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Außerdem hätte sie dann bestimmt schon längst meine Zähne unauffällig beobachtet.
"Oh, so spät schon...
jetzt haben wir uns ja völlig verquatscht.
Was machen Sie eigentlich? Gehen Sie noch zur Schule?"
nein... nicht mehr.
Auf meine Frage hin, ob sie Ärztin sei, kam nur ein kurzes Schweigen.
Ich war einfach mal so frech zu fragen, es hat mich einfach brennend interessiert.
Ihr Blick ging auf den Boden, vom Boden zum Bahnhof und dann in die Ferne.
Es folgte ein tiefes Ausatmen, bis sie dann meinte
"Jein... so ähnlich.
Aber wissen Sie was?
Ich muss morgen wieder früh raus,
Sie doch bestimmt auch, oder?!
Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder,
es war auf jeden Fall sehr angenehm,
danke für das Taschentuch!
danke für das Taschentuch!
Und falls nicht: Fröhliche Weihnachten
und einen guten Rutsch!"
und einen guten Rutsch!"
und plötzlich war sie weg.
Es ging alles unglaublich schnell,
sie ist aufgesprungen und war weg, einfach davon.
Es war so, als ob ich gar nicht wissen sollte,
was sie denn nun war.
Krankenschwester oder Ärztin?
Weder noch, gar nichts davon.
Na, wer weiß. Wie sie schon meinte,
eigentlich kannten wir uns gar nicht richtig.
Und eigentlich ging mich ihr Leben auch überhaupt nichts an.
Aber... immerhin hat sie mich genauso gefragt, was ich mache,
ob ich noch Schülerin bin.
Aber gut, auch meine Antwort war nicht eindeutig.
Aber wieso eigentlich nicht?
War es mir peinlich? Mein ganzer Grafik und Fotografie-Kram?
War es mir peinlich? Mein ganzer Grafik und Fotografie-Kram?
Nein, eigentlich nicht... aber wie ich anfangs schon meinte.
Ich bin Menschen gegenüber nicht wirklich offen,
sondern sehr ängstlich, besondern Fremden gegenüber.
Umso überraschender war es doch, was ich dem 007-Fahrkartenkontolleur heute
ins Gesicht geknallt und an den Kopf geworfen habe.
Damit hatte selbst ich nicht gerechnet, aber es gibt eben diese Momente,
in denen meine Emotionen innerlich plötzlich überkochen
und ich mich einfach nicht mehr im Griff habe.
Und dann springe ich Menschen förmlich ins Gesicht,
da gibt es dann keine Rücksicht auf Verluste.
Und das tut mir auch wiederum sehr leid... denn so möchte ich nicht sein.
Aber bei mir gibt es einfach keinen richtigen Mittelweg.
Als ich auf die Uhr sah, war es tatsächlich schon 18.30 Uhr.
Unfassbar, dass ich es so lange in der Kälte aushielt.
Aber mir war gar nicht mehr kalt, nein...
in meinem Kopf drehte sich nur alles.
Manchmal gibt es seltsame Begegnungen im Leben
bei denen man sich fragt, warum sie überhaupt stattfinden.
Das war nicht nur irgendeine Begegnung,
da war noch was anderes im Kommen.
Und langsam wurde mir auch immer mehr klar,
dass mit mir und meinem Kopf irgendetwas nicht stimmte.
Die Emotionen und Gefühle in mir spielten verrückt,
sie benutzten mich für etwas und darauf hatte ich keine Lust mehr,
denn es war verdammt anstrengend, ich war verdammt anstrengend.
"Vielleicht...
ja vielleicht sollte ich mir doch mal eine
Psychotherapie suchen...
Ich wollte das nie, habe mich immer dagegen gewehrt.
Meine Gedanken und Ängste aber machen mich
langsam verrückt.
Sie hindern mich, lähmen mich.
Ich kann so nicht mehr.
Zu Hause, in der Akademie, in meinem Umfeld.
Ich war schon stationär, ambulant wollte ich aber
keine Hilfe mehr in Anspruch nehmen.
Ich dachte immer, ich bekomme das alles selbst auf die Reihe...
aber das war nicht der Fall.
Nicht mehr."
Ich stand auf, nahm meinen Rucksack und ging nach Hause.
"Nur noch eine Woche,
dann ist Weihnachten und ich habe frei."
Eine weitere Fortsetzung der Geschichte
erscheint nach den Weihnachtsfeiertagen,
währenddessen schreibe
ich aber natürlich nochmal
über andere Sachen.
☺
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